Leserbrief aus der LDZ vom 16.04.2019:

Bürgerbegehren – allein der Begriff ist schon spannend. Dieser so oft zitierte Bürger, der immer dann Erwähnung findet, wenn er als Synonym für die Gesamtheit aller Einwohner herhalten muss, begehrt etwas. Will laut Initiatoren des Fusionsbegehrens nicht weniger als die Demokratie „leben“. Ein Traum. Alle machen mit. Alle bringen sich ein. Einwohnerfragestunden platzen aus allen Nähten. Toll. Wäre schön. Leider sieht die Realität anders aus. Für die Ratsherr*innen (m/w/d) lebt dieser „Bürger“ meist unsichtbar. Ist vermutlich gerade auf seinem Sofa oder im Garten, wenn stundenlange Ausschusssitzungen, langwierige Arbeitskreise oder zähe Ratssitzungen stattfinden. Verständlich. Nur die wenigsten haben Lust, ihre Freizeit ehrenamtlich für die Allgemeinheit einzusetzen, sich mit Dingen zu beschäftigen, die „keine Sau“ interessieren und doch wichtig sind. Fakten und Daten zusammentragen, abwägen, leidenschaftlich diskutieren, nur um am Ende aller Tage doch feststellen zu müssen, dass man keine Mehrheit für seine Meinung zusammenbekommt. Mühselig, oft brotlose Kunst und als Reaktion darauf maximal Leserbriefschreiber, die zwar nie da sind, einem vom Sofa aus aber Wirtschaftsmodelle, Geldverschwendung und den eigenen Antrieb für die Motivation zum Machterhalt erklären. Sehr löblich. Wie herrlich einfach ist es da, ein Bürgerbegehren anzuschieben, die Demokratie auf eine einzige Frage zu reduzieren, die eindeutig mit Ja oder Nein zu beantworten ist. Bei der Fusion lautet sie sinngemäß: „Sind Sie dafür, dass Sie dagegen sind?“. Eine Frage für die Ewigkeit! Wie ein Leitbild. Geht immer und holt die Bürger ab. Laut Herrn Günter Lassen geht es um fehlende Transparenz, falsche Zahlen und Steuererhöhungen. Schwere Vorwürfe. Spätestens, wenn seine Mitstreiter noch eine mögliche Schließung des Freibads in die Waagschale werfen, haben sie den Bürger. Dagegen! Aufregung unabhängig feststehender Fakten. Während alle Ratsmitglieder noch in Arbeitskreisen vertieft sind, sich in unzähligen Stunden Fragestellungen zu den Themen Infrastruktur, Verwaltung, Finanzen und Recht bearbeiten, um im Mai die seit Monaten geplanten Informationsveranstaltungen für die Mitmenschen halbwegs kompetent abhalten zu können, redet Herr Lassen von Transparenz. Als Mitglied der Lenkungsgruppe sollte ihm das Leitbild der ergebnisoffenen Fusionsgespräche bekannt sein: „Kein Bürger darf schlechter gestellt sein.“ Das steht über allem. Ganz konkret und sogar transparent. Der geforderten Transparenz hilft es zudem mehr, aktiv an Lösungen der Fragestellungen mitzuarbeiten und selbst Zahlen und Fakten zusammenzutragen, als über falsche Zahlen und Steuererhöhungen zu sinnieren. Dann wäre zum Beispiel auch klar, dass der Arbeitskreis Infrastruktur einstimmig für den Erhalt beider Freibäder eintritt. Gelebte Demokratie bedeutet Mitmachen, denn das macht sie aus. Ich freue mich daher über jeden, der diese Demokratie mit Leben füllt und vom Sofa runterkommt. Der Initiative wünsche ich gutes Gelingen, denn was kann uns Besseres passieren, als wenn 100 Prozent der Einwohner nach Abwägung aller Fakten eine weise Entscheidung treffen, die für mehrere Generationen von Bedeutung sein wird? Dann hätten alle Bürger im Sinne des Bürgers entschieden.

gez. Hajo Ammermann, Ratsherr der Unabhängigen